Gábor
Ösz: The Liquid Horizon
Gabor
Ösz hat die Bunker des Atlantikwalls beim ersten Anblick als eine Art
war memorial gesehen, als Mahnmale und Relikte des Zweiten Weltkriegs,
die ihn interessierten aufgrund ihrer archaischen architektonischen Formen,
ihres auf schierer Massivität beruhenden Beharrungsvermögens und ihrer
vergangenen Funktion als Beobachtungsposten an ehemals bedeutungsvollen
Orten. Erst die körperlich-sinnliche Erfahrung im Bunker, der ihm wie
das Innere einer riesigen Fotokamera erschien, brachte Ösz auf den Gedanken,
den Raum in eine Camera obscura zu verwandeln. Ösz greift damit auf die
Ursprünge der Camera Obscura zurück: Bevor sie als tragbarer Kasten konstruiert
wurde, handelte es sich um eine mannshohe, dunkle Kammer mit einem kleinen
Loch an einer Seite, durch das das einfallende Licht ein punktgespiegeltes
(also seitenverkehrt auf dem Kopf stehendes) Bild der Außenwelt auf die
gegenüberliegende Wand warf.
Diese
Lichtmaschine bedeutete einen Paradigmenwechsel im Naturverständnis: Erstmals
war Natur nicht mehr das passive Objekt der Beobachtung, sondern konnte
mittels Wellen oder Lichtstrahlen eine Wirkung auf lichtempfindliche Substanzen
hervorbringen. Nichts anderes bezweckt Ösz mit seinem Vorgehen: daß die
Natur ein Bild von sich selbst herstelle.
Dieser Prozeß bewegt sich für den Künstler auf der Grenzlinie zwischen
den Gattungen. Der Vorgang des Befestigens von großen Bögen Cibachrome-Papier
erinnerte ihn an seine frühere Praxis, Malgründe nicht auf Keilrahmen
zu spannen, sondern lose an die Wand zu hängen; andere technische Probleme,
etwa beim Befestigen des Papiers, glichen pragmatischen Schwierigkeiten
bei der Pleinair-Malerei.
Das silbrig-dunkelbraune Cibachrome-Papier zeigt schon beim Anbringen
eine schwache Spiegelung des künftigen Bildes - der gesamte Belichtungsvorgang
dauert dann vier bis sechs Stunden. Den Bildern ist also - in prinzipieller
Verschiedenheit zur Malerei - das Vergehen der Zeit eingezeichnet.
Fotografien bilden ihren Gegenstand in der Regel im Bruchteil einer Sekunde
scharf, eindeutig, mit allen Details, gegebenenfalls auch im Hinblick
auf die Farbwerte "naturgetreu" ab. Das durch die Aufnahmetechnik der
Camera Obscura bedingte Diffuse, Unscharfe der Landschaftspanoramen, die
geisterhaften Spuren von Bewegung und die besondere Farbigkeit lassen
diese Bilder nicht wie Fotografien, sondern eher wie Gemälde aussehen.
Anders als Gemälde offenbaren sie allerdings bei näherem Hinsehen keine
die Bildaussage mit begründende Textur, keinen Mikrokosmos etwa aus Farbpartikeln.
Anders auch als bei großformatigen Gemälden wird man nicht in die Bilder
hineingezogen, sondern die Annäherung bedeutet einen Schritt ins Leere,
der Blick rutscht ab an der glatten Oberfläche, das Bild löst sich vollends
auf. Je näher man kommt, desto weniger sieht man.
Ösz hat die besondere Spannung gereizt zwischen den martialisch-brutalistischen
Betonbunkern als Orten der Observation feindlicher Bewegungen und der
sich dem Auge dieses Bunkers darstellenden ewig friedvollen und zeitlos
schönen Meereslandschaft. Seine Bilder haben keine im Koordinatennetz
von Zeit und Ort verankerte Identität, sie gewinnen dafür quasi im Austauschverfahren
beispielhafte Bedeutung. Seine Landschaftspanoramen sind autonome Bilder
in dem Sinne, daß sie sich aus der Verpflichtung zum referentiellen Verweis
auf die Wirklichkeit lösen. Sie fungieren als eine Art imaginäre Matrizen
für fiktive Bilder, die der Betrachter auf sie projiziert und in denen
er die dem bloßen Auge verborgene Wirklichkeit des Sichtbaren zu entdecken
glaubt.
Sigrid
Schneider, Ruhrlandmuseum Essen
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